Andere Gedichte

DER MENSCH

der mensch
mit seiner erbärmlichkeit

der mensch
mit seiner endlichkeit

der mensch
mit seiner unterwürfigkeit

der mensch
mit seiner bösartigkeit

der mensch
mit seiner grausamkeit

der mensch
mit seiner leidensfähigkeit

der mensch
mit seiner herrlichkeit

der mensch
mit seiner maßlosigkeit

der mensch
mit seiner unverbesserlichkeit

der mensch
mit seiner abgründigkeit

der mensch
so wie er eben ist

er ist mein thema
in der literatur

Wien, 24.9.2021

NACH ALL DEN JAHREN

dir fallen
die namen nicht mehr ein

wie sie geheißen haben
in Lidice und Nowosibirsk

und die totentücher
hängen als weiße fahnen
im garten

du fährst
mit dem aufzug hinauf
kannst dich nicht erinnern

aber du weißt auf einmal
du hast alles verspielt

du stehst an einer ecke
sagst ich liebe dich

fährst mit dem aufzug hinauf
weißt wie es weitergehen wird

denkst
an die weißen tücher

aber die namen
fallen dir nicht mehr ein

Wien, 1970

MOMENTAUFNAHME

fraglich
ob alles so bleibt
wie es ist

vor dem fenster
die roten blüten
der geranien

eine seite
im gedichtband
von Jorgos Seferis

keine idylle sage ich
alles nur keine idylle
keine verlogenheit

der wind
trägt ein letztes wort
hinaus in das dunkel

die schwarze fläche
das goldene kreuz
dein gesicht

an den häusern
wehen die fahnen
erinnerungsbilder

aus dem lautsprecher
ertönt marschmusik
an der hand ein kind

eine rückkehr gibt es nicht
keine ausflucht irgendwohin
alles ist fraglich so wie es ist

Wien, 30.6.2003

ABEND-IMPRESSIONEN

strahlend gelb
der blühende raps
im abendsonnenlicht

gedankenverloren
gehe ich meinen weg
der sinkenden sonne
entgegen und fühle
wie ich ein teil werde
von all dem ganzen
rundum

wie ich blüte werde
wie ich stein werde
wie ich erde werde
auch vogel und flug

wir sind ja immer nur
ein teil von vielen teilen
wir sind nie ein ganzes
sind stets nur bruchstück
im besten falle fragment

du sagst einen namen
mündest in wortlosigkeit
und du stellst eine frage
mündest in antwortlosigkeit

nur die liebe
rettet dich vielleicht
aber auch nur für kurze zeit

denn am ende fällt alles
dem vergessen anheim
verschwindet spurlosins nichts

Bad Erlach/Wien, 23.4./22.5.2019

ABEND AM LENDKANAL

durch das dickicht
verwilderter zweige

fällt einmal noch
sterbend das licht

die sonne erglüht
wie zum abschied

und blendet die augen
noch einmal mit gold

schwarz sind die tage
ausgeliefert dem tod

der nebel gefriert
auf dem wasser

von ferne leuchten
die lichter der stadt

Klagenfurt/Lendkanal
Wien, 2.11.1988



SOMMERTAG

das grüne blätterdach
der passionsblume

über dem geöffneten
wohnzimmerfenster

die gelbe hausmauer
gegenüber reflektiert

das goldene abendlicht
an diesem sommertag

die mauersegler fliegen
schreiend durch die luft

die geranienblüten blühen
sommerlich leuchtend rot

jemand sagt ein wort
aber es zerbricht in mir

Wien, 17.7.2018

DIESER AUGENBLICK

alles in mich
aufnehmen

das licht
auf den steinen

den wind
in den zweigen

dein lächeln
dein haar

die stimmen
der menschen

das schweigen
des himmels

diesen augenblick
der ewigkeit

Ochrid/MAK, 26.8.1989

RÜCKSCHAU

mach die augen zu

erinnerungsbilder
tauchen auf

du sagst damals
du sagst dort

du sagst vielleicht
es war einmal

nichts bleibt dir
von deinem leben

nur ein wenig staub
auf deiner hand

der wind bläst ihn fort

Wien, 29.4.2017

BEDENKE DAS

es könnte sein
daß wir der roten erde
uns nicht mehr erinnern

daß wir
uns wiederfinden
ausgesetzt
in einem land
in dem der tod
hinter den steinen hockt

in dem
das wort verdorrt
und unser schweigen
endet

bedenke das
es könnte sein
daß wir der roten erde
uns nicht mehr erinnern

und das meer
über die ufer tritt

Maslenica-Brücke bei Zadar
Kroatien Küste, Ostern 1966

LEBENSERHALTUNG

immer wieder hineinhören
in die lautlose stille

immer wieder die bilder
die aufleuchtend verglühen

immer wieder tief in sich
den abschied spüren

immer wieder aber auch
der hoffnung fernes licht

nicht die frage stellen
wieviel zeit noch bleibt

sondern einfach nur leben
sorglos in den tag hinein

Bad Erlach, 13.9.2021

ABSCHLUSS

in deiner lunge
spürst du den staub
der vergangenen jahre

trügerische hoffnung
hat dich blind gemacht

auch keine sehnsucht mehr
konstatierst du gelassen

das bunte raschelnde laub
an einem sonnigen herbsttag

erinnert dich an etwas
aber du weißt nicht woran

du weißt du brauchst
keinen zufluchtsort mehr

diese gewißheit ist gut

Wien, 7.7.1996

DAS LETZTE LICHT

Das letzte Licht
als die Sprache
der Bäume;

als Botschaft
des Himmels.

Schwarzblau
die Schatten
der Nacht.

Du hörst
diese Stille.

Du hörst
deinen Atem.

Und du hörst
deinen Pulsschlag

als Zeichen
der Zeit.

Hagenbrunn, 25.11.1984

ENDE

daß das leben
so endet

in weißen räumen
allein und in angst

und wir
nichts anderes sind
als zerschlagene bilder

Wien, 1980

MUTTERS STERBEN

das licht
an der wand

aschgrau
dein haar

diese stille

Zum Sterben und zum Tod
meiner Mutter am 11.10.1983
Haslach, 15.10.1983


FÜR MEINE TOTEN BRÜDER

(Max, Josef, Gilbert,
Fridolin, Nikolaus)

das grün
der bäume

und der tod
als frucht

sprachlos gehe ich
durch leere räume

von niemandem
gesucht

die nacht zerbricht
am morgenlicht

und unsere hände
tasten wunden

Wien, April 1980/2020

AUFTRAG

nimm dem tod
die silbertöne

mach das gold
der nacht daraus

alles schöne fließt
nun ohne grenzen

grenzenlos
ins licht hinaus

Zu Vaters Sterben und Tod
in Linz am 16.11.1980
Haslach, 20.11.1980


ALLE ZEICHEN

alle zeichen
löscht die zeit
auch uns

wir sind
nur brücke
des lichts

wir leuchten
und verglühen

Venedig, 23.9.1973




MÜHLVIERTEL

die hügel hinauf
bis an die grenze

ausgebreitet das land
in schweigen und licht

tausende löwenzahnblüten
wie herabgefallene sterne

an einem wegrand
steht einsam ein kreuz

am abend der nebel
tief unten im tal

der himmel glüht rot
wie ein brennendes meer

Wien-Haslach, 5.5.1988

IM MÜHLVIERTEL

die blumenwiesen
die kleinen wälder

die wolkentürme
an sommertagen

kindheitsängste
kindheitsträume

ein leben hier
und anderswo

sich wiederfinden
im geäst der jahre

und etwas wie
ein spätes glück

Haslach, 20.7.2004

DROSENDORF 1980

der himmel
hoch und weit

und überall
unendlichkeit

das grün der felder
und der erde frucht

und eine stille
lang gesucht

und ein atmen
ohne zeit

Wien, 26.8.1980

GANG DURCH DEN HERBST
am St. Marxer Friedhof Wien

der einsame weg
im dämmerlicht

verwelkte blätter
am geäst der bäume

fremde namen gelesen
gedanken über den tod

das wort vergänglichkeit
lautlos vor mich hingesagt

ein schwarzer vogel
flatternd aufgeflogen

am ende die erkenntnis
die zeit zerbricht den stein

Wien, 10.11.2006

WIEDER IN WIEN

wieder zurück
in diesem Wien
wo alles nur stirbt

außer
kindheitsängsten
und erinnerung

an murmelspiel
ausgesperrtsein
an kerzenlicht

an rote fahnen
hakenkreuze
an nicht-reden

an fenstergitter
schläge hart
an nachtgebet

wieder zurück
in diesem Wien

hier der wein
ausgesetztsein

und immer kalt
und nie ein geld

Wien, 25.4.1975/17.2.1997

AM ABEND

am abend
schreien

verwundet
die vögel

den tod hinein
in das licht

die botschaft
verlorener jahre

den schmerz
vergangener zeit

Wien, 7.11.1988
Sekirn/Reifnitz am Wörthersee



ABGESCHIEDEN

weither
der stimme
letzter klang

der ferne
letztes lied

der lampe
letzter schein

des schneefalls
schatten

unser haus

Wien 1980

VERLASSENES HAUS

niemand lebt mehr hier
ausgestorben das haus

ich gehe durch die räume
noch gibt es erinnerung

hier vertrocknete blumen
da ein zerbrochenes bild

auf dem haken noch immer
der alte hut meines vaters

das gebetbuch der mutter
der stock der rosenkranz

die geige meines bruders
verschlossen das klavier

die verstaubten schuhe
die alte küchenuhr

ein schrank steht offen
eine motte fliegt heraus

das telefon ist abgesperrt
die leitung längst schon tot

Haslach, 16.4.1983

HINTER DEM GITTER
MEINER TRAURIGKEIT

hinter dem gitter
meiner traurigkeit
muß dein gesicht sein

niemand brachte mir
botschaft von ihm
niemand bezeugt es mir

nie verirrt sich ein wort
in mein exil nur selten
eine gebärde

aber hinter dem gitter
meiner traurigkeit
muß dein gesicht sein

Wien, 19.3.1965

ALLER DINGE SCHATTEN

Aller Dinge Schatten
fällt nieder auf die Zeit;

ist Traumspiel, das wir hatten
am Beginn der Ewigkeit.

Schweigend,
da das Wort zerbricht,

und uns zum Ende neigend
trifft uns der Erlösung Licht.

Wien, 20.5.1973

ABSCHIED UND ANKUNFT

mit meinem letzten blick
möchte ich keine bilder
mehr sehen von der welt

ich möchte schweben
im niemandsland von
abschied und ankunft

ich möchte in freiheit
weggehen vom hiersein
ohne ein bestimmtes ziel

Wien, 13.4.1982

STRANDEN IM LICHT

Irgendwo ankommen
müßte man, sage ich;
irgendwo.

Vielleicht jenseits
des dunklen Wassers.
Und stranden im Licht.

Weiße Asche fällt
lautlos auf mich –
wie Vergessen.

Nicht mehr das Spiel
mit verbundenen Augen,
sage ich, nicht mehr das Spiel!

Du sagst: Ich bin hier.
Ich sage: Ich bin dort.
Wohin soll ich gehen?

Vogelflüge beobachtet
abends unten am Fluß.
Dieses Daseinsgestrüpp.

Vogelbeeren leuchten
im späten Abendlicht.
Immer nur Irrwege.

Ich höre auf das Gleichmaß
meiner Schritte auf dem Weg
ins Niemandsland.

Im Wasser dunkel
mein Spiegelbild.
Am anderen Ufer
wartet das Boot.

Grün ist alles hier
in der Landschaft.
Nur ein Haus leuchtet
rot aus der Ferne.

Und ein Schrei
zerbricht in mir.

Oulu/Kosto 1998
Wien, 16.9.1998

DU ABER SAGST

du aber sagst
alles wird gut
und ich glaube dir
einfach weil ich lieber
an wunder glaube als
an banale wirklichkeit
du aber sagst sieh
die nächte sind weiß
ich aber entgegne nein
diese nächte sind rot
so rot und du irrst dich
sie sind rot vom mondblut
und den schmerzen all der
gequälten getöteten menschen
du aber sagst es wird frühling
irgendwann das weiß ich sicher
alles ist doch so wie immer und
seit jeher das gibt gewißheit
ich aber sage ja dies vielleicht
aber nicht hoffnung und mut nicht
zuversicht rettung vor verzweiflung
riech doch die luft sagst du
sie duftet nach lindenblüten
hör doch den wind wie er rauscht im geäst
alles ist hoffnung ich und du eben wir
fühl doch mein haar meine haut fühl doch
den sommer in meinem herzen diesen wilden
herrlichen sommer der da ist für dich
riech doch den duft meines fleisches
und denk an die liebe an freude und lust
ich aber sage denk an das mondblut
denk immer daran an die nacht vor den augen
knapp vor dem erblinden wenn die hoffnung
dich verläßt oder betrügt dann gibt es
nicht freude nicht liebe nicht lust
sieh so viele menschen sind nur noch schatten
und die losung heißt in allen sprachen der welt
muerte smrt oder tod nicht hoffnung
gerade dann sagst du bleibt als einzige hoffnung
die liebe gerade dann im tiefsten dunkel der nacht

Helsinki, 12.5.1996

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