LITERARISCHES PROGRAMM
gegen jeden staat
der sich absolutsetzt
werde ich
widerstand leisten
gegen jede partei
die sich absolutsetzt
werde ich
widerstand leisten
gegen jede religion
die sich absolutsetzt
werde ich
widerstand leisten
gegen alle die
nach macht streben
nur um macht
zu erreichen
werde ich
widerstand leisten
mit meinem handeln
mit meinem wort
Wien, 18.3.1987
POESIE
dasitzen und nachdenken
ein gedicht schreiben
indes die anderen sterben
durch krankheit und hunger
durch krieg und gewalt
durch gleichgültigkeit
dasitzen und nachdenken
ein gedicht schreiben
während tag für tag
der urwald brennt
sich das klima verändert
die welt vergiftet wird
dasitzen und nachdenken
ein gedicht schreiben
wort für wort setzen
ordnungsgefüge aufbauen
tag für tag versuchen
am leben zu bleiben
in der sprache lebendig
zu sein im gedicht
Wien, 17.3.1991
RETROSPEKTIVE
da war damals
dieser baum
und dieses weiße haus
mit seinen blauen fenstern
und unser beider spiegelbild
in seinen blinden scheiben
da waren namen
längst ausgelöscht
auf einmal wieder da
die zeichen
in das braune holz geritzt
das denken
die unbekannten toten
und die trauer
um das niemehrwiedersehen
Wien, 3.2.1976
SO STERBEN WIR NICHT AUS
so sterben wir nicht aus
in der erinnerung
in diesem weißen muschelhaus
aus dir und mir und uns
sind wir vergraben
der wind trägt uns fort
und wirft uns ans land
sieben hügel sind ein grab
für unsere hoffnung
der himmel ist auferstehung
kornblumen und weizenähren
sind zeichen der trauer
und eine hohle hand
ist bettlerschale
um dies leben
Wien, 8.11.1976
DIE MAZZESINSEL
wien zweiter bezirk
taborstraße tandelmarkt
ohne zu wissen wohin
ausgeliefert der macht
zum sammelstransport bereit
und dann die züge ins nichts
bis zum tor des todes
mitten hinein und hindurch
eine endlose menschenschlange
unzählige opfer leichenberge
und dann nur asche
wie zweiter bezirk
praterstraße heinestraße
tandelmarkt mazzesinseln
alles ausgelöscht
aufgelöst in nichts
für immer verschwunden
die fenster sind blind
die mauern sind stumm
die autos fahren vorbei
und voll trauer
gehe ich meines weges
die tage sind nicht mehr wie früher
sie sind mit blut befleckt
das grauen ist zu stein geworden
Wien, 29.9.1987
REICHSKRISTALLNACHT
braune brut
und rote nacht
die synagogen
brennen
die nazihorden
schlagen plündern
das glas
zersplittert
wie das recht
des menschen
der pöbel schreit
du Judenschwein
im ganzen land
herrscht die gewalt
und jahre später
war das niemand
und niemand
war da je dabei
und niemand
kann sich daran
noch erinnern
Wien, 15.3.1989
NACH ALL DEN JAHREN
nach all den jahren
in die erinnerung
zurückgehen
bis schnee
darauf fällt
die mauern
entlanggehen
ohne sehnsucht
ohne hoffnung
nach all den jahren
sich nicht mehr
erinnern können
daran was wirklich
einmal war
St.Stefan/Kärnten, 8.2.1988
MAUTHAUSEN 1967
Mauthausen
herrliche perle
im Strudengau
noch heute erzittere ich
wenn ich im fieber
einer sommerreise
vorbeifahre
Mauthausen
ist heute ein kurort
wegen seines milden klimas
wegen der lieblichen landschaft
wegen des gepflegten stadtbildes
wegen der gutgeführten gaststätten
ist eine aufstrebende stadt
mit einer gedenkstätte
als fremdenverkehrsattraktion
ich aber
rieche noch immer
den süßen geruch
MAUTHAUSEN
Wien, 3.2.1968
MAUTHAUSEN 1987
ich gehe hinein
in das KZ
ich gehe
über den platz
ich trete ein
in eine der baracken
ich gehe hinunter
über die todesstiege
und gehe
wieder herauf
ich stehe
im vorhof des todes
ich ergreife
den griff für
das erhängen
ich inspiziere
die gasleitungen
für das vergasen
ich öffne ein fenster
und sehe den himmel
Haslach, 12.10.1987
THERESIENSTADT
(Eine Fotografie)
quer durch die wiese
der weg bis ans ende
grau in grau der park
die kirche zwei häuser
ein mensch in der ecke
bewegungslos schatten
begrenzt durch bäume
der blick in den himmel
leblosigkeit denke ich
alles wie ausgestorben
das wort Theresienstadt
sage ich plötzlich laut
vor mich hin und warte
als käme ein echo zurück
Wien, 16.5.1999
NACH AUSCHWITZ
nach Auschwitz kann man
keine gedichte mehr schreiben
sagte Theodor Adorno Wiesengrund
aber was nützt
diese absage ans leben
den ausgelöschten den toten
was bewirken
verstummen und schweigen
und die haltung des verzichtes
für die zukunft der menschheit
ist es nicht besser
immer wieder davon zu reden
auch mit dem gedicht
daß die gefahr weiter besteht
ist es nicht besser
immer wieder zeugnis zu geben
für jede kommende zeit
zu mahnen wachsam zu sein
damit Auschwitz
nicht zur geschichte wird
zum bloßen historischen fall
von Auschwitz reden muß heißen
die wirklichkeit des menschen
zur sprache bringen
und eingestehen
daß nichts mehr so ist und
nichts jemals noch sein wird
wie es vor Auschwitz war
Wien, 3.2.1975/8.10.1987
AUSCHWITZ
alle worte
an den dingen prüfen
an den brillen
an den schuhen
am abgeschnittenen haar
an den braunen koffern
mit den namen
schmerzende bilder
dokumente des grauens
die aufgeschichteten
dosen von Zyklon-B
die zerbrochene puppe
in einer vitrine
die langen sitzreihen
in der latrinenbaracke
die eisernen werkzeuge
in den krematorien
alle worte prüfen
an der wirklichkeit
rote rosen blühen
in Auschwitz
und der himmel
ist blau
Auschwitz, 20.6.1999
WARSCHAUER GHETTO
Einen Stein
aus meinem Herzen
lege ich zum Denkmal.
Wie kann man reden
mit Millionen Toten,
frage ich mich.
Kirchenglocken
läuten zu Mittag.
Die Linden blühen,
es duftet der Jasmin.
Nur für Deutsche –
lese ich lautlos
auf einer weißen
Emailtafel im Museum.
Einen Stein
lege ich als Zeichen
des Trauergedenkens
auf den schwarzen Marmor.
Warschau, 15.6.1999
FARBENLEHRE
das wasser
ist mit blut vermengt
das wasser dieser erde
was sollen mir
die bunten farben
von generalen
von kardinälen
in ihren uniformen
in ihrem prunkornat
da war der schwarze zug
und später leichenberge
was soll die welt
in maske und kostüm
der tod hat keine farbe
wer tot ist ist nur tot
Wien, 24.8.1986
HEIMATGEDICHT
hinter der maske
des biedermanns
lauert noch immer
der nationalismus
die unduldsamkeit
gegen einen jeden
der anders ist
als die norm
mit der faust kräftig
auf den tisch gehaut
als wahrheitsbeweis
abends am stammtisch
große worte darüber
wie denn das alles ist
das Ausländergesindel
die Heimat Österreich
die Kirche der Staat
die Wirtschaft das Volk
die Verbrecher da oben
die Kleinen da unten
dann ein schluck bier
das lachen von allen
Wien, 17.1.1991
GEGENWELT
dieser welt etwas entgegensetzen
der welt in der ich aufgewachsen bin
der welt die man mir eingebleut hat
der welt die man mir vorgegaukelt hat
der welt die man für gültig erklärt hat
der welt die man als ideal hingestellt hat
der welt die man so hingenommen hat
der welt in der man sich eingerichtet hat
dieser welt etwas entgegensetzen
der welt der sozialen ungerechtigkeit
der welt der reichen und der armen
der welt der ausbeutung der massen
der welt des manipulierten konsums
der welt der grenzenlosen globalisierung
der welt der ideologischen unterdrückung
der welt der gewalt des terrors des krieges
der welt der propaganda und der lügen
der welt der verlassenen und vergessenen
der welt der gefangenen und gefolterten
der welt der herrschenden und mächtigen
der welt der diktatoren und der militärs
der welt der schönredner und beschwichtiger
dieser welt etwas entgegensetzen
denen die die wirklichkeit dieser welt verleugnen
denen die diese welt als ihr eigentum betrachten
denen die diese welt ausbeuten und zerstören
denen die die welt mit ihren religionen versklaven
denen die die welt mit ihrem fanatismus vergiften
denen die die welt mit gewalt verbessern wollen
denen die die welt weder lieben noch achten
denen die die welt schon aufgegeben haben
denen die die welt so lassen wollen wie sie ist
Wien, 29.5.2007
ZEITGENOSSEN-LITANEI
wie sie das glas heben
wie sie einander zuprosten
wie sie sich auf die schultern klopfen
wie sie sich in vertraulichkeiten einhüllen
wie sie sich überall wichtig machen
wie sie sich für unentbehrlich halten
wie sie glauben der mitttelpunkt der welt zu sein
wie sie im geheimen ihre abmachungen treffen
wie sie stets eine neue infamie vorbereiten
wie sie am buffet alles in sich hineinstopfen
wie sie sich an die journalisten heranschleichen
wie sie in die fernsehkameras hineinlächeln
wie sie ihre visitenkarten austauschen
wie sie in ihren aktenkoffern herumkramen
wie sie wichtigtuerisch ihre termine verabreden
wie sie vor jeder obrigkeit katzbuckeln
wie sie auf alle anderen hinuntersehen
wie zynisch sie von menschen reden
wie überheblich sie frauen behandeln
wie sie die kinderwangen tätscheln
wie tölpelhaft sie mit ausländern reden
wie inkompetent sie von politik schwätzen
wie sie sich als oberste instanz aufspielen
wie intolerant sie gegen andere meinungen sind
wie immer wieder ihr Antisemitismus hervorkommt
wie sie sich mit der Abendländischen Kultur brüsten
wie sie ihre kritiker für geisteskrank halten
wie sie auf Vaterland und Heimat schwören
wie sie für Moral und Ordnung eintreten
wie sie über alles bescheid wissen
wie sie alles organisierbar machen
wie das Wirtschaftswachstum für sie alles ist
wie es die Dritte Welt für sie nicht gibt
wie sie an ihren sesseln und funktionen kleben
wie sie ohne diese rein gar nichts sind
wie sie sich jeder macht ergeben und ausliefern
wie sie nur hohle phrasen von sich geben
wie gefühlskalt und leer sie innerlich sind
wie sie vom staat reden als sei er ihr eigentum
wie sie glauben die wahren Österreicher zu sein
Wien, 7.7.1991
AUF SCHRITT UND TRITT
auf schritt und tritt
begegnet mir hier
überall in Österreich
der Alltagsfaschismus
Wien, 23.3.1981
KAMERADSCHAFTSTREFFEN
Die Tapferkeitsmedaillen
am Revers der Tracht.
DerGruß der Freundschaft
mit erhobener Hand.
Das sind die Zeichen
der Dummheit und Lüge.
Vergangenheitsbewältigung
auf gut-österreichisch.
Da war noch die Rede
des Ministers vor der SS.
Das war nicht im Fernsehen.
Das war nicht medienreif.
Nur so ganz im geheimen.
Nur so ganz unter Freunden.
Das war ein Hohn auf die Opfer.
Das war ein Schlag ins Genick.
Mein Vaterland Österreich
spürst du es nicht?
Wien, 1.10.1986
KÄRNTNER HEIMATFEST
das straßenbild ist voll
mit Abwehrkämpfern
der Ulrichsberg ruft wieder
zur gedächtnisfeierstunde
stolz tragen sie die Naziorden
die klimpersterne an der brust
Das Schwert mit Eichenlaub
Grüß Gott Sieg Heil Kamerad
der landtagsabgeordnete
sogar der bürgermeister
ein alter priester zelebriert
die feierliche heldenmesse
die blasmusikkapelle spielt
Ich hatt‘ einen Kameraden
die schützenkompanien
feuern auf befehl salut
ein fest des irrsinns
in diesem Österreich
Klagenfurt 1988
HINRICHTUNG in Teheran
nein
da wird nicht jemand
im morgengrauen
von einer gruppe
von ausgesuchten
spezial-exekutoren
in einem hinterhof
eines gefängnisses
zack-zack erschossen
nein
da fährt ein kran auf
mitten auf einem platz
möglichst zentral mitten
in der hauptstadt teheran
und da oben am baukran
wird gleich ein delinquent
oder noch viel dramatischer
eine schwarz verhüllte frau
zappelnd hängen solange
bis der tod eingetreten ist
und tausende schaulustige
vom mullah-mörderregime
dorthin abkommandiert
werden dieses schauspiel
die öffentliche exekution
ergriffen mitansehen müssen
zur abschreckung wie gesagt
damit alle begreifen wer hier
der herr über leben und tod ist
und dann
wird am freitag gekniet
für die sünder gebetet
darum daß gott sie bestraft
und man tut dabei auch selber
was man dazu beitragen kann
nein nein und nochmals nein
dann lieber eine welt ohne gott
dann jedenfalls lieber eine welt
ohne paradiesische belohnung
dafür mehr achtung des lebens
einfach von mensch zu mensch
ohne dieses gottesstaatsgetue
doch mit respekt vor dem leben
in dieser widersprüchlichen welt
Wien, 15.12.2022
ALLE DIE TÖTEN
Es war nicht „der Putin“.
Es war nicht „der Stalin“.
Es war nicht „der Hitler“.
Nein, es waren und sind
immer alle die vielen, die
einem Führer folgen und
gehorsam mitmarschieren.
Nein, es waren und sind
alle, die der Propaganda
und den Lügen vertrauen
und die Befehle befolgen.
Nein, es sind Menschen,
die Befehle vollstrecken,
auf einen Knopf drücken
und die Raketen abfeuern.
Und dann kracht es irgendwo.
Und für viele arme Menschen
bricht nicht nur irgendein Haus,
sondern ihre Welt zusammen.
Kinder weinen und frieren
tage- und nächtelang unten
in U-Bahn-Schächten, während
sich oben das Inferno vollzieht.
Und durch goldene Kreml-Säle
schreitet der KGB-Diktator Putin
selbstherrlich und selbstsicher
zu einer Rede an die Nation.
Und dann legt er dar, daß dies
alles sein muß, weil der Krieg
ihnen aufgezwungen wurde,
und es keine Alternative gibt.
Und die Befehlsempfänger
schießen in blindem Gehorsam
alles zusammen: die Menschen,
die Kultur, die ganze Zivilisation.
Es war nicht „der Hitler“.
Es war nicht „der Stalin“.
Es ist nicht „der Putin“.
Nein, es sind immer Männer,
die Befehle von oben befolgen,
die Gefolgschaft leisten und
dadurch zu Mördern werden.
Und später umarmen sie wieder
ihre Frauen: Mütter, Schwestern,
ihre Geliebten und ihre Kinder.
Dann sind sie normale Bürger.
Nein, alle die gehorsam morden,
die skrupellos den Tod bringen,
die sind die Kriegsverbrecher,
die Zerstörer jeder Zivilisation.
Wien, 6.3.2022
ZWEIERLEI WIRKLICHKEITEN
ein hofknicks vor dem zaren
in den hinterkopf ein schuß
der kgb-diktator lächelt milde
die ministerin fühlt sich geehrt
die städte sind verwüstet
die menschen auf der flucht
die vielen massakrierten toten
abtransportiert ins massengrab
zwei wirklichkeiten sind im bild
nur ein wenig zeitverschoben
beim hofknicks und beim tänzchen
wer hätte damals denn gedacht
daß dieser so charmante staatsmann
zugleich ein menschenschlächter ist
Wien, 8.4.2022
KINDERLIED
schlaf kindlein schlaf
dein vater hüt‘ die schaf
nein dein vater ist im krieg
dort kämpft er für den sieg
du lebst in einem u-bahn-schacht
weil rundherum der krieg so kracht
es gibt kein wasser und kein brot
es gibt nur leiden angst und tod
raketen schießen durch die luft
brandgeruch statt frühlingsduft
schlaf kindlein schlaf
verbrannt sind haus und schaf
es kracht in kurzen intervallen
dein vater ist im krieg gefallen
die lage ist jetzt aussichtslos
du schläfst in deiner mutter schoß
schlaf kindlein schlaf
es hütet niemand mehr die schaf
Wien, 21.3.2022